Zum Schuljahr-Start wieder aktuell: Gewaltprävention in Schulen
Die verschiedenen Formen von körperlicher, psychischer und verbaler Gewalt kommen auch im Schulalltag vor. Da sind präventive Massnahmen erforderlich. Ein Thema, das sich jetzt – zum Start des neuen Schuljahres im Covid-Pandemie-Jahr 2020 – mehr denn je aufdrängt.
Die Leiterin des Dienstes Schulsozialarbeit (SSA), Lotti Lienhard, informiert, dass die Mitarbeitenden der SSA Hand bieten bei allen Formen von Gewalt. Die Schulsozialarbeit Basel-Stadt ist an allen städtischen Schulen und an drei Standorten in Riehen tätig. Auch bei der so genannten strukturellen Gewalt, bei welcher Beratung für die Anspruchsgruppen angeboten wird. «Formen von Gewalt sind soziale Problemlagen oder werden als soziale Problemlagen verstanden und sind somit im Leistungs- und Aufgabenbereich der Schulsozialarbeit Basel-Stadt. Auch das Thema Ausgrenzung oder sich verhärtende Ausgrenzungsprozesse, Mobbing- und Gruppendynamikprozesse greifen wir auf.» Die Schulsozialarbeit Basel-Stadt arbeite jedoch nicht ohne Auftrag, ist aber klar Ansprechpartner für diese Problemlagen, so Lotti Lienhard. Es sei selbstverständlich in der Volksschule Basel und somit auch bei der Schulsozialarbeit Basel-Stadt, dass wenn Gewalt in welcher Form auch immer stattfindet, verschiedene Anlaufstellen zur Verfügung stehen. Auch Lehrpersonen und Schulleitungen können mit gewissen unangenehmen Situationen konfrontiert werden. Denn Gewalt von Schüler/innen gegenüber Lehrpersonen könne ebenfalls vorkommen, wenn auch in wenigen Fällen. Lotti Lienhard: «Tendenzen zu benennen ist schwierig, da dies mit den Faktoren Wahrnehmung und subjektives Empfinden gekoppelt ist. Aber wichtig ist für die Schulsozialarbeit, dass solche Phänomene zeitnah aufgegriffen werden und zur Bearbeitung gelangen. Eine Kultur der Aufmerksamkeit ist hier wesentlich. Wenn Kinder und Jugendliche in Kontakt mit Gewalt kommen, würden wir auf jeden Fall empfehlen, dies mit erwachsenen Vertrauenspersonen zu thematisieren und wo auch immer möglich die Angebote, welche an Schulen Angeboten werden, zu nutzen.» In der Regel wird in einem Beratungsprozess das Anliegen der Betroffenen aufgenommen. Dabei werden diese partizipativ in den Lösungsprozess mit eingegliedert. «Wichtig ist und bleibt: Die Kultur der Aufmerksamkeit für Gewaltphänomene hat zugenommen und das ist zentral. Die Bereitschaft hinzuschauen, die Sensibilisierung für einen möglichen Konfliktfall sowie die Kenntnis, wo man sich hinwenden kann – das ist entscheidend», so Lienhard. «Wir arbeiten grundsätzlich nach dem systemischen Beratungsansatz. Konflikte und verhärtete Konflikte wie beispielsweise Mobbing sind gruppendynamische Prozesse, die frühzeitig mit allen Beteiligten aufzugreifen sind.»
Wir haben zu diesem Thema uns auch im Kanton Baselland umgehört, wo David Stalder als Leiter des Schulsozialdienstes auf Sekundarstufe I wirkt. Er und die 26 Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter versorgen 17 Schulstandorte mit der Dienstleistung der Schulsozialarbeit. «Schulsozialarbeit unterstützt Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung, beim Lösen von Schwierigkeiten und sozialen Problemen im Zusammenhang mit Schule, Familie oder Freizeit. Im Zentrum ihrer Arbeit steht das Kindeswohl und das übergeordnete Kindesinteresse», so David Stalder. Wir haben mit ihm ein Interview geführt.
Herr Stalder, wie genau wird «Gewalt in den Schulen» definiert?
D. Stadler: Zunächst muss gefragt werden: Um welche Form von Gewalt geht es? Gewalt von Kindern und Jugendlichen gegen andere Kinder und Jugendliche respektive gegenüber Erwachsenen oder Gewalt gegen Kinder und Jugendliche? Zwischen beiden Formen der Gewalt besteht ein Zusammenhang und beide Formen werden im menschlichen Zusammenleben – und so auch in der Schule – sichtbar. Das Vermindern von häuslicher Gewalt beispielsweise ein dringliches gesellschaftliches Anliegen, wie auch das friedliche Zusammenleben an den Schulen. Gewalt wird dabei in allen Formen, körperlich, psychisch, verbal etc. beachtet. Das Thema Mobbing und das Behandeln desselben ist sehr komplex. Es braucht Wissen, Erfahrung und Fingerspitzengefühl sowie eine gute Zusammenarbeit der Erwachsenen, damit das Auflösen von Ausgrenzung und Mobbing gelingen kann.
Ist eine gewisse Verrohung im Schüler/innen-Alltag nachgewiesen oder «gefühlt spürbar»?
D. Stadler: Aus unserer Sicht bestätigt sich das nicht. Aber die sozialen Probleme nehmen eher zu und werden komplexer. Dies fordert die Schulen und auch die Schulsozialarbeit immer stärker. Die Kinder und Jugendlichen sind immer auch ein Spiegel der Gesellschaft, des Zeitgeists und der Herausforderungen, die sich der Gesellschaft stellen. Im Grunde bewerkstelligen die Kinder und Jugendlichen die Verarbeitung der vielen Einflüsse aus Medien, Umwelt und direktem Umfeld kreativ und gut. Der Schule und den Lehrpersonen kommen neben den Eltern und Weiteren in dieser Hinsicht eine grosse Bedeutung zu.
Wie ist Ihre Einschätzung in Bezug auf Gewalt von Schülern zu Schülern und von Schülern zu Lehrpersonen?
D. Stadler: Vor fünf Jahren – nach Abschluss des nationalen Programmes Jugend und Gewalt von 2011 bis 2015 – konnte ein markanter Rückgang der Jugendgewalt festgestellt werden. Der Einsatz für ein friedliches Miteinander ist demnach wirkungsvoll und lohnt sich. Zwar sind im Kanton Basel-Landschaft wie in der ganzen Schweiz in den letzten drei Jahren die Verurteilungen von Jugendlichen aufgrund von Gewaltstraftaten angestiegen. Deren Zahl liegt aber immer noch weit unter dem Niveau von 2010. Eine aktuelle Studie zeigt auch, dass verschiedene Formen von Aggressionen und Gewalt im Alltag der Baselbieter Jugendlichen eine grosse Rolle spielen. Aber Vorsicht: Aus den Zahlen der Verurteilungen lässt sich nicht eins zu eins auf den Anstieg von Jugendgewalt allgemein oder auf die Gewalt an Schulen schliessen.
Gehen die Ausschreitungen wirklich hauptsächlich von Jungen und männlichen Personen aus?
D. Stadler: Es gibt sicher einen Unterschied, wie Mädchen oder Jungs Gewalt anwenden und ausleben. Die Stereotypen, dass Jungs schlagen und Mädchen zicken, finden sich in diesem Rahmen immer wieder bestätigt. Aber Mädchen und Jungs können auch anders. Das zeigte sich beispielsweise auch in der Mobbing Forschung, welche davon ausging, dass Jungs andere vor allem körperlich plagen. Es wurde aber festgestellt, dass sie das subtilere, eher psychische Peinigen ebenso drauf haben wie die Mädchen.
Wie sollten Schülerinnen und Schüler, die mit solch einer Gewalt in Berührung kommen, sich verhalten?
D. Stadler: Wenn Gewalt untereinander stattfindet, dann ist es gut, wenn sie sich selbst oder gegenseitig helfen, die Gewalt zu beenden und Frieden zu schliessen. Die Schule wird bei offensichtlicher Gewalt oder bei Bekanntwerden derselben sehr schnell aktiv. Die Haltung ist: Schwierigkeiten, Differenzen, Streit dürfen sein, aber Gewalt ist niemals und in keinem Fall eine Option. Schulsozialarbeit arbeitet mit den Beteiligten die Situation auf. Allenfalls werden Sanktionen und Auflagen von Seiten Schule ausgesprochen. Manchmal wird auch der Jugenddienst der Polizei beigezogen. Auf diese Weise soll soziales Lernen bei den Beteiligten stattfinden. Werden diese Kinder eines Tages auch mal Eltern, haben sie schon gelernt, dass Gewalt niemals eine Option ist. Daher lohnt sich der Einsatz und macht sich mehrfach bezahlt, für die Individuen und für die Gesellschaft. Wenn es sich um Gewalt gegen die Kinder und Jugendlichen handelt, beispielsweise in Form von häuslicher Gewalt, dann muss davon ausgegangen werden, dass das Kindeswohl nicht mehr gewährleistet ist.
Oft haben Schüler auch Angst, sich einem Vertrauenslehrer anzuvertrauen…
D. Stadler: Wichtig ist zunächst, dass gewaltbetroffene Kinder und Jugendliche mit der Gewalt und der Drohung nicht alleine bleiben. Sie vertrauen sich dann manchmal den Eltern oder anderen Kindern und Jugendlichen an. Wer immer von Gewalt erfährt, soll sich an die Lehrperson und/oder an die Schulsozialarbeit wenden. Wie oben beschrieben, werden solche Ereignisse ernst genommen. Es wird schnell gehandelt.
Gibt es Schulungen für die Lehrpersonen in Bezug auf die Gewaltprävention?
D. Stadler: Das konsequente Handeln der Schulen bei Gewalt von und gegen Schülerinnen und Schüler wirkt an sich schon präventiv. Das Ziel ist immer, Schwierigkeiten bereits im Ansatz zu bearbeiten. Spezifische Schulung von Lehrpersonen wird beispielsweise regelmässig über die Lehrer*innen Fortbildung angeboten. Auch befassen sich die Schulen immer wieder mit dem Thema im Rahmen ihrer schulinternen Weiterbildung oder führen spezifische Projekte und Massnahmen durch. Zudem befasst sich die kantonale Steuergruppe Präventionsprojekte im Jugendbereich der Gesundheitsförderung Baselland mit aktuellen Jugendthemen und der Prävention.
Gibt es Programme für Schülerinnen und Schüler im Bereich Gewaltprävention?
D. Stadler: Die Schule kauft wie oben erwähnt ein Projekt ein, an dem dann meist ausgewählte Klassen teilnehmen. Auch gibt es Programme für einzelne Schülerinnen und Schüler, die dann auf dringliche Empfehlung, aber «privat» in Anspruch genommen werden. In einem jugendstrafrechtlichen Zusammenhang können solche Programme auch angeordnet werden.
Was schlagen Sie vor, damit die Gewalt in Schulen abnimmt?
D. Stadler: Zunächst bedarf es der Anstrengung und der Aufmerksamkeit, den bisherigen Einsatz engagiert und entschlossen aufrecht zu erhalten. Das ist immer auch mit der Ressourcenfrage verbunden. Es wäre gut, wenn Schulsozialarbeit auch in allen Primarschulen eingeführt würde. Eltern sollten besseren Zugang zu Erziehungs- und Familienberatung haben. Zusätzliche Ressourcen für die allgemeine Präventionsarbeit wären beim Jugenddienst der Polizei Basel-Landschaft angezeigt. Des Weiteren wären gezielte Angebote im Bereich der indizierten Prävention sinnvoll für Jugendliche, welche bereits mit gewalttätigem Verhalten oder mit Gewaltandrohung aufgefallen sind.
JoW, Interview: D. Ciociola