Moment Mal… Feuer und Flamme für die Kirche

    Es war zweifellos eines der tragischsten Ereignisse der vergangenen Festtage:An Heilig Abend brannte in Herzogenbuchsee der Kirchturm. Nach einer ersten Entwarnung geriet der Kirchturm am späten Abend erneut in Brand. Das Schicksal nahm seinen Lauf: Die Spitze des Kirchturms wurde ein Opfer der Flammen und stürzte kurz vor Mitternacht auf das Kirchenschiff herunter.

    Das Ereignis im bernischen 5000-Seelen-Dorf sorgte für ein grosses mediales Echo und damit schweizweit für Aufsehen. So zynisch es klingen mag, aber der Kirchturmbrand war für die Reformierten Kirchgemeinde ein unbezahlbarer Werbespot. Obwohl man für die Weihnachtsfeierlichkeiten in andere Lokalitäten ausweichen musste, waren diese für einmal so gut besetzt wie noch nie. Die beiden Gottesdienste an Heilig Abend und am Weihnachtstag fanden vor vollen Rängen statt.

    Aber nicht genug damit, die Betroffenheit, die Anteilnahme und die Unterstützung für die gebeutelte Kirchgemeinde, deren Verantwortliche und Helfer war und ist immer noch riesig. Viele Menschen zeigen sich solidarisch. Man fühlt und leidet mit. Die Kirche ist in fast jedem Dorf ein herausragendes Wahrzeichen, sie ist ein Symbol für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft, sie steht für christliche Werte, sie ist innerhalb einer Gemeinde auch identitätsstiftend und nicht zuletzt ist sie in vielen Dörfern auch ein kulturhistorisches Gut, mit dem sich ein grosser Teil der Bevölkerung verbunden fühlt. Wenn ein solches Monument Opfer eines tragischen Vorfalls wird, dann sorgt das verständlicherweise für grosse Aufregung und Betroffenheit.

    Doch gerade an diesem Punkt komme ich ins Grübeln, denn ich wage zu behaupten, dass mehr als die Hälfte der Einwohner von Herzogenbuchsee noch nie freiwillig (ausser bei Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen) den Weg in die Reformierte Kirche gefunden hat. Die meisten haben keine Ahnung, wie das Gotteshaus von innen aussieht und noch weniger wissen sie, was sich darin abspielt, weil sie nie einen Gottesdienst besuchen. Weshalb also nun dieses Wehklagen über etwas, das uns bislang so gleichgültig war und auch weiterhin wäre, wenn es den Brand nicht gegeben hätte?

    Es ist ein unerklärbares Phänomen: Immer dann, wenn ein schreckliches Ereignis stattgefunden hat, füllen sich unsere Gotteshäuser. An den restlichen Tagen des Jahres herrscht in den Kirchen oft gähnende Leere und beklagen sich unsere Landeskirchen seit Jahren über rückläufige Mitgliederzahlen. Deshalb kann ich die Hysterie und das Bedauern der Menschen nach dem Kirchturmbrand nicht vollumfänglich für «bare Münze» nehmen.

    Mit der Kirche ist es wie mit allen andern gesellschaftlichen Gepflogenheiten auch: Wir leben (zu) oft einfach gedankenlos vor uns hin. Fixiert auf unsere Selbstoptimierung und das persönliche Wohlergehen leben wir ein zuweilen schon fast krankhaft ich-bezogenes Leben, in dem Vorrang hat, was uns selber dient. Alles andere findet darin keinen Platz, weil es uninteressant ist, zu mühsam, zu aufwändig, zu kostspielig oder zu zeitintensiv ist und nicht zuletzt, weil es zu viel von uns verlangen würde (emotional). Das gilt auch für die Kirche, die in unserem Leben nur dann einen Platz hat, wenn der Kirchturm brennt.

    Es ist mindestens so dringend nötig wie das aktuelle Klima-Geschrei, dass wir uns wieder ein Stück von der Selfie-Bühne entfernen und den Blick über das iPhone hinaus erheben, damit wir sehen, was um uns herum geschieht, auch wenn kein Rauch und Feuer erkennbar ist. Man muss weder religiös noch ein Glaubensfanatiker sein, um eine Kirche zu betreten, um sich Gedanken über christliche Werte zu machen oder ohne ersichtlichen Grund Betroffenheit und Anteilnahme zu zeigen.

    Es würde nicht schaden, wenn wir im 2020 hin und wieder aus freien Stücken Feuer und Flamme für unser Gemeinwohl wären, ohne dass uns eine Greta dazu nötigt oder ein rauchender Kirchturm uns ein schlechtes Gewissen einheizt…

    Walter Ryser
    Redaktioneller Mitarbeiter

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