Viele Grenzgänger/innen sind sich nicht bewusst, was alles bei einem Jobantritt entschieden werden muss
Die Grossregion Basel ist ein Phänomen bezüglich wirtschaftlicher Produktivität gemessen am Flächenanteil im Vergleich zu anderen Kantonen. Der hohe Anteil am nationalen Bruttoinlandprodukt (BIP) von nahezu zehn Prozent ist unter anderem auch den Grenzgängerinnen und Grenzgängern zu verdanken. Für viele Arbeitnehmende, speziell für jene, die aus dem Elsass kommen, lauern jedoch viele Herausforderungen, wenn es um ihren Versicherungsschutz geht.
Mit einem Flächenanteil von etwas über einem Prozent der gesamten Schweiz ist die Region Basel eine kleine Region. Infolge der hohen Bevölkerungsdichte ist der Bevölkerungsanteil jedoch mit sechs Prozent höher. Noch grösser ist die wirtschaftliche Bedeutung der Region Basel: Dank der hohen Zahl von Zupendlern aus den Nachbarkantonen sowie aus dem Elsass und Südbaden beträgt der Anteil an den Erwerbstätigen in der Schweiz rund sieben Prozent. Dies, und eine klar überdurchschnittliche Produktivität – vor allem eine Folge der markanten Präsenz der hochproduktiven Life-Sciences-Industrie – führt schliesslich zu einem Anteil am nationalen Bruttoinlandprodukt (BIP) von nahezu zehn Prozent.
Der Trend ist spürbar: Die Schweiz zieht – nach einer kurzzeitigen Stagnation – wieder mehr Grenzgänger an. Im zweiten Quartal 2019 zählte der Bund rund 320’000 Grenzgänger. Das sind zweieinhalb Prozent mehr als im Vorjahr. Am meisten Grenzgänger arbeiten im Raum Genf, gefolgt von Basel und vom Tessin. Aus Frankreich kamen zuletzt 3,2 Prozent mehr in die Schweiz zum Arbeiten. Etwas zurückgegangen ist dagegen die Zahl der deutschen Grenzgänger: um 1,1 Prozent, wie neue Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) belegen.
Die Zahl der Grenzgänger hat in den vergangenen zehn Jahren in der Region um rund 10’000 auf fast 48’000 Personen zugenommen. Das regionale Volkseinkommen hat zudem seit 1990 deutlich zugenommen. Während die Zunahme in der Schweiz zwischen bis zu 50 Prozent betrug, ist das Volkseinkommen in der Region Basel um rund 80 Prozent gestiegen. Nebst der Gewinnentwicklung der in Basel beheimateten Grosskonzerne spielen hierfür auch die dank der florierenden Wirtschaftsentwicklung zunehmenden Löhne eine Rolle.
Und hier kommen auch die Löhne mit ins Spiel und der Versicherungsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Elsass und Südbaden. Wir haben zu diesem Thema mit Roger Weilenmann und Xavier Marco (beide von Haysen.com), zwei absoluten Experten auf dem Gebiet der Vorsorge- und Versicherungslösungen für Grenzgänger/innen, gesprochen.
Die Statistiken zeigen, dass wir aktuell bezüglich arbeitnehmenden Grenzgänger/innen in der Grossregion Basel auf dem bisher höchsten Stand sind. Dies gilt speziell auch für die Arbeitnehmer/innen aus dem Elsass. Die Attraktivität und Produktivität der Region ist hoch. Viele Grenzgänger/innen und auch Zuzügler/innen stehen jedoch beim Eintritt in die hiesige Arbeitswelt vor schwierigen Entscheiden – speziell bei der Wahl des Versicherungsschutzes. Warum?
Xavier Marco: Es ist tatsächlich so, dass es im Elsass nicht viele spezialisierten Experten gibt, welche sich im Detail über das Schweizer Sozialsystem auskennen. Da es in Frankreich eh schon recht kompliziert ist und die Berater bei den Banken und Versicherungen sich oft auf neue Französische Gesetze einstellen müssen, ist das Letzte was sie wollen, sich noch mit Schweizerischen Gesetzen auseinander setzen zu müssen.
Roger Weilenmann: Zu bedenken ist, dass in Frankreich die Wahl, für welches Krankenkassen-Modell man sich entscheidet, eine definitive ist und diese kann erst bei Pensionierung revidiert werden. In Deutschland gibt es Optionen beispielsweise bei Geburt oder Heirat. Bei der Vorsorge muss man sich bei beiden Systemen auskennen und die Thematik mit den drei Säulen ist sehr komplex.
Wie ist das mit den Unternehmen? Oft sind diese nicht proaktiv. Wie kann man Unternehmen helfen, die viele Grenzgänger/innen beschäftigen, neue anstellen oder dies auch in Erwägung ziehen?
Roger Weilenmann: Viele Unternehmen, beziehungsweise HR Abteilungen sind überfordert mit der grenzüberschreitenden Versicherungs-Thematik. Das ist ein Fakt. Da braucht es oft spezialisierte Leute, damit man das Thema outsourcen kann. Wir machen oft Info-Anlässe und individuelle Beratungen auf Anfrage von Firmen.
Xavier Marco: Meine persönliche Meinung ist, dass die Unternehmen noch nicht realisiert haben wie wenig Informationen die Grenzgänger besitzen. Deshalb ist es ein erster Schritt, den Unternehmen aufzuzeigen, wie wichtig es sein muss, zufriedene Grenzgänger bei sich zu haben. Dies steigert dann selbstverständlich die Produktivität.
Welche Erfahrungen haben Sie als Experten gemacht? Wo besteht Optimierungsbedarf?
Xavier Marco: Die wichtigsten Themen betreffen immer die Pensionskasse, besonders bei einer Entlassung oder Rückkehr nach Frankreich. Dann reden wir von einer Freizügigkeitsleistung. Das ist das frei gewordene Sparguthaben welches in der Pensionskasse angespart wurde. Wenn die Grenzgängerinnen und Grenzgänger nichts unternehmen, dann überweisen die Pensionskassen diese Guthaben nach einer bestimmten Zeit, normalerweise innerhalb von sechs Monaten, der Auffangeinrichtung. Dort liegen laut Statistiken etwa fünf Milliarden Franken, welche nicht zurückgefordert werden! Auch die Wahl der Krankenkasse – ob in der Schweiz oder in Frankreich – ist ein Dauerthema. Es stellen sich Fragen wie: möchte man sich in beiden Ländern behandeln lassen und wie sind die Kosten?
Roger Weilenmann: Das ist richtig. Und bei der Vorsorge muss eine Analyse der Leistungen aus den beiden Systemen gemacht werden. Viele denken, bei uns muss man nichts mehr tun, da man ohnehin bestens abgedeckt sei. Das muss nicht sein und ist sogar oft gar nicht der Fall. Und wenn ja, stellt sich die Frage: Gibt es eine steuerliche Optimierung mit den richtigen Lösungen aus beiden Systemen? Bei der Pensionierung ist die Frage ob Rente oder Kapital gerade bei Grenzgängern komplex und muss sehr genau analysiert werden.
Welche Netzwerke helfen bei der Beratung und Umsetzung? An wen kann man sich richten?
Xavier Marco: Wir haben damit angefangen die Institutionen zu kontaktieren welche im direkten Kontakt mit den Grenzgängern sind, sprich die verschiedenen Versicherungsgesellschaften und Banken. Auf unserer Homepage haysen.com findet man dazu wertvolle Informationen. Bei den Grenzgängern aus Frankreich gibt es tatsächlich eine Sprachbarriere. Nicht alle beherrschen den Fachjargon. In der Deutschschweiz gibt es wenige Berater, die sowohl die französische Sprache wie auch das fachspezifische Knowhow besitzen, um die Grenzgänger adäquat zu beraten.
Roger Weilenmann: … ja, da gibt es zu wenig Hintergrundwissen. In Frankreich beispielsweise wurde beispielsweise erst im 2014/2015 das Modell mit der Krankenkassen-Wahl komplett umgestellt. Auf deutscher Seite gibt es unzählige Berater, welche sich aber vor allem auf Krankenkassen-Themen spezialisiert haben. Im Bereich Vorsorge sind jedoch kaum gute Experten im Umgang mit der Grenzgänger-Thematik vorhanden. Dasselbe in Frankreich. Bei der Wahl der richtigen Krankenkassen- und Vorsorgelösungen geht es nicht nur um sehr viel Geld, das man sparen kann, sondern auch um die Leistungen. Da braucht es Expertenwissen. Sonst kann vieles schief gehen.
JoW