Fingerspitzengefühl und starke Nerven

    Neue Herausforderungen bei der Polizeiarbeit –
    Ein täglicher Drahtseilakt

    Polizistinnen und Polizisten wurden beschimpft und sogar bedroht oder bei einer Festnahme durch filmende Gaffer so lange in ihrer Routine gestört, bis beidseitig üble Schimpfwörter fielen. Immer wieder wird von «Hatern» oder gewissen Gruppierungen zu Gewalt gegen die Polizei «aufgerufen». Solches passierte in unserer Region in diesem Jahr in regelmässigen Abständen. Hat der Slogan «Die Polizei – Dein Freund und Helfer» in einigen Bevölkerungskreisen ausgedient? Im Zuge des Trends nach der Forderung für mehr Transparenz bezüglich der Polizeiarbeit der Gegenwart und der Zukunft kann das Pendel auch schnell in die entgegengesetzte Richtung schwingen.

    (Bilder: Kanton Basel-Stadt) Die Polizeiarbeit wird immer komplexer: Das Durchsetzen klarer Richtlinien ist genau so wichtig wie Empathie und Fingerspitzengefühl für die entsprechende Situation.

    Die Polizeiarbeit wird immer komplexer. Speziell in Situationen, in welchen ein Einschreiten nötig wird, ist exaktes, transparentes Vorgehen und viel Fingerspitzengefühl gefordert. Jetzt erst recht, wo jede Handlung und jedes Wort allenfalls als unverhältnismässig oder gar als Polizei-Willkür ausgelegt werden könnte. Auch das Phänomen, dass gewisse Situationen «live» mitgefilmt werden und (manchmal) in einem vielleicht unvollständigen Kontext ins Netz gestellt werden, sorgt für Unbehagen. Und so fühlen sich manche Polizistinnen und Polizisten im Dienst zuweilen verunsichert oder unwohl. Der Respekt gegenüber der Polizei und deren Arbeit scheint in einigen Kreisen im Sinkflug zu sein. Gleichzeitig wird gefordert, man solle in bestimmten Situationen härter durchgreifen und keinen «Kuschel-Kurs» fahren, während andere sich über eine zu autoritäre, ja gar von kleinlicher beziehungsweise übertriebener Härte gezeichneten, Polizeiarbeit beklagen. Man debattiert immer öfter über Fälle von Social Profiling, Polizei-Willkür, unverhältnismässigem Einschreiten oder mangelndem Fingerspitzengefühl. Wie nehmen das die Betroffenen eigentlich wahr? Wie schätzen sie die Entwicklung eigentlich ein? Wir haben nachgefragt bei Toprak Yerguz, dem Mediensprecher des Justiz- und Sicherheitsdepartementes des Kantons Basel-Stadt.

    Toprak Yerguz, immer öfter wird in den Medien über Angriffe und Pöbeleien gegenüber der Polizei berichtet. Auch werden die Polizistinnen und Polizisten zuweilen bei ihrer Arbeit sogar behindert. Wie sehr haben diese «Angriffe» in den letzten Jahren spürbar zugenommen?
    T. Yerguz: Grundsätzlich liegt es in der Natur der Sache, dass die Polizei dort zum Einsatz kommt, wo es Defizite bei der Sicherheit und Ordnung gibt. Wegen ihres Einschreitens wird sie manchmal – vor allem bei Jugendlichen, die sich Freiheiten nehmen möchten – trotz Notwendigkeit des Einsatzes als Spassbremse wahrgenommen. An dieser Ausganslage hat sich in den letzten Jahrzehnten nichts geändert: Wenn wir uns an die 60er und 70er-Jahre erinnern, so gab es auch dort schon diese Reibungsflächen. Neu sind hingegen die Begleitumstände wie liberale Öffnungszeiten, der vermehrte Aufenthalt im öffentlichen Raum und die Möglichkeiten von Mobiltelefonen bei der Aufnahme und bei der Verteilung von Bildern und Videos.

    Sie haben es erwähnt: Seit einigen Jahren herrscht der Trend, dass die Polizeiarbeit mit dem Mobile live gefilmt wird. Welche «Gefahren» sehen Sie darin? Die Inhalte werden ins Netz gestellt oder per Whatsapp verschickt. Manchmal den Medien zugespielt und nicht immer im richtigen Kontext. Die Folge sind Kommentare, vielleicht sogar ein Shitstorm, Fake News… .
    Mit der Dauerpräsenz gezückter Handys haben die Einsatzkräfte – nicht nur die Polizei, sondern auch die Feuerwehr und die Sanität – zu leben gelernt. Die grösste Gefahr sehen wir nach wie vor in der Verletzung der Persönlichkeitsrechte betroffener Personen. Die Kantonspolizei hat auch einen Schutzauftrag, damit diese Betroffenen, zum Beispiel bei Einsätzen wegen Personen in schwierigen Lebenssituationen oder bei Personenkontrollen, nicht einem gaffenden und filmenden Publikum ausgesetzt werden. Unerfreulich, aber nicht «gefährlich», ist die entstehende Aufregung, wenn der Ausschnitt eines Einsatzes einen verfälschten Eindruck vermittelt. Meistens legt sich diese Aufregung rasch wieder.

    Zurück zur Kernfrage: Welche möglichen Ursachen sehen Sie in den Respektlosigkeiten oder Gehässigkeiten gegenüber der Polizei?
    Aus Sicht der Kantonspolizei spielen die zunehmende, sogenannte «Mediterranisierung» der Gesellschaft – also der vermehrte Aufenthalt der Bevölkerung draussen im öffentlichen Raum – sowie der Konsum von Alkohol und Drogen eine Rolle, wenn sich um einen Einsatz herum enthemmte Personenmengen formen. Zusätzliches Eskalationspotenzial erhalten solche Einsätze wegen der Möglichkeiten und der Dynamik der sozialen Medien, die auch die traditionellen Medien unter Zugzwang bringt: Protagonisten erhalten schneller eine «Bühne», um sich darzustellen – vor oder hinter der Kamera.

    Polizei im Einsatz – Hier ist genaues Vorgehen nach Dienstvorschrift gefragt. Auch wenn die Situationen manchmal unübersichtlich werden.

    Man kann das Gefühl kriegen, bei der Polizei herrscht manchmal das Gefühl der Ohnmacht. Setzen die Polizisten ihre Massnahmen mit Nachdruck um, werden diese möglicherweise in gewissen Fällen als Polizeiwillkür angesehen. Wie gehen Sie in Zukunft mit schwierigen Situationen um, ohne dass die Bevölkerung mögliche Polizeiwillkür oder Unverhältnismässigkeit unterstellt?
    Wir werden weiterhin jeden Einsatz so führen, dass die Verhältnismässigkeit gegeben ist und wir keinen objektiven Anlass zu Kritik bieten. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Die Polizei muss immer wieder zu repressiven Mitteln greifen, was den Betroffenen natürlich nicht gefällt. Umgekehrt gibt es Personen, die für jede noch so kleine Übertretung maximales Durchgreifen fordern. Diesen Widerspruch innerhalb der Gesellschaft werden wir nicht lösen können. Solange Links findet, wir seien zu streng, und Rechts findet, wir seien zu lasch, machen wir unsere Arbeit genau richtig.

    Für jene im Einsatz ist es sicherlich auch schwierig, mit gewissen Respektlosigkeiten oder gar Drohungen umzugehen und Ruhe zu bewahren. Welches Feedback bekommen Sie von Ihren Kolleginnen und Kollegen zu diesem Thema?
    Jede Person, die Polizistin oder Polizist werden will, weiss von Anfang an, dass sie beruflich nicht nur mit Personen auf der Sonnenseite des Lebens konfrontiert sein wird. Polizistinnen und Polizisten haben ein dickes Fell, aber es gibt Grenzen: Bei übertriebenen und wiederholten verbalen oder bei jeglichen tätlichen Übergriffen erfolgt konsequent eine Anzeige. Schwierig ist für die Polizistinnen und Polizisten weniger der Kontakt mit grenzwertig pöbelnden Personen als vielmehr der Reflex von Teilen der Bevölkerung, trotz fehlender Kenntnis der genauen Umstände die Pöbler in Schutz zu nehmen und die Polizei zu kritisieren.

    Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen, damit in Zukunft die Polizisten/innen wieder mehr Respekt erlangen und ihrer Kernarbeit folgen können, anstatt sich mit den Pöbelnden herum zu streiten?
    Grundsätzlich würden wir die Einsicht begrüssen, dass jeder in seinem Leben auf die Hilfe der Polizei angewiesen sein könnte und in dieser Situation froh wäre, dass diese im Einsatz verantwortungsvoll alle Faktoren abwägt – auch wenn Aussenstehende dies nicht auf Anhieb nachvollziehen können. Eines ist aber wichtig festzuhalten: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist zufrieden bis sehr zufrieden mit der Polizeiarbeit in unserem Kanton. Dass Medien das staatliche Handeln kritisch begleiten, ist ihre Kernaufgabe. Deshalb erhalten Kritiker entsprechenden Platz in den Medien, um ihre Vorwürfe zu formulieren. Es ist aber keinesfalls so, dass die kritische Berichterstattung die allgemeine Stimmung der Bevölkerung zur Polizei abbildet. Interessanterweise ist die Kurve der Zufriedenheit mit der Polizei über die Jahrzehnte gleich geblieben: Generell waren und sind Jugendliche der Polizei gegenüber kritischer eingestellt als ältere Generationen. Das heisst: Die kritischen Jugendlichen von früher sind die zufriedenen Erwachsenen oder Senioren von heute.

    JoW,
    Interview: D. Ciociola

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